Das autonome Fahren ist derzeit das Lieblingsthema der Automobilbranche. Ihm hat sich jetzt auch das Deutsche Institut für Qualitätsförderung e. V. (DIQ) in seinem 4. Symposium angenommen. Die Vision vom Zeitung lesenden und Kaffee trinkenden Passagier im selbstständig und automatisch fahrenden Auto setzt sich in den Köpfen vieler Menschen fest. Technisch scheint das Fahren ohne Fahrer nicht mehr unbedingt ein Problem zu sein. Wie aber empfindet es der menschliche Körper, wenn er unvorhersehbaren, plötzlichen Richtungswechseln ausgesetzt ist? Und wie geht man an die juristischen Fragen des Themas heran? Akzeptiert der Mensch die neue, beherrschende Technik, was sagt die Psychologie? Antworten gab es in Wuppertal beim 4. DIQ-Symposium.
In seiner Begrüßung erläuterte der Präsident des Deutschen Instituts für Qualitätsförderung e. V., Dipl.-Ing. Peter Schuler, die Tätigkeiten des Instituts. Er betonte dabei den Einsatz des DIQ für die Sicherheit der Menschen in Deutschland, vor allem im Bereich des Straßenverkehrs. So erinnerte Peter Schuler an die bisherigen drei Symposien und verwies darauf, dass die interdisziplinäre Betrachtung der jeweiligen Themen so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal darstelle. Das DIQ-Symposium ist das Original, so Schuler.
Der Leiter des Symposiums, Prof. Dr.-Ing. Peter König von der Hochschule Trier, stimmte in einem kurzweiligen Impulsvortrag das Plenum auf das Thema des autonomen oder automatisierten Fahrens ein. Der Einstieg in das Thema kam von Flugkapitän Thomas Mildenberger von der Vereinigung Cockpit. Wieso ausgerechnet ein Flugzeugführer die einleitenden Worte zum autonomen Fahren sprach, wurde schnell klar. Die Frage nach der Rolle des Piloten beim automatischen Fliegen war der Ausgangspunkt für die Überlegungen von Captain Mildenberger. Erfahrung und Training sind für den Piloten unerlässlich, denn er muss, auch bei einem hohen Grad an Automatisierung, die letztendlichen Entscheidungen treffen, vor allem in Notfällen, so Captain Mildenberger. Eindringlich für die Zuschauer war das Beispiel eines Frachtflugzeuges, das kurz nach dem Start von einer Rakete getroffen wurde und durch den Eingriff der Piloten wieder sicher zum Flugplatz zurückkam. „Die Crew musste sich das Fliegen in Echtzeit neu beibringen“, so Thomas Mildenberger. Deutlich wurde dabei auch die extrem kurze Zeit für Entscheidungen und den Eingriff in die Automatik. Die Zuhörer des DIQ-Symposiums bekamen von Flugkapitän Mildenberger auch noch einen Einblick in die Statistiken zum Thema Sicherheit im Flugverkehr. Auch eine Präsentation des Schnittplatzes Mensch – Maschine, sprich des Flugzeugcockpits, vermittelte Thomas Mildenberger. Dabei ging er auf die Vor- und Nachteile des automatisierten Fliegens ein.
Im Vortrag von Prof. Dr. Frank Schmäl geht es um den Menschen. Genauer gesagt um die Empfindungen des menschlichen Körpers beim autonomen Fahren. Prof. Dr. Schmäl beschäftigt sich in seiner Arbeit am Zentrum für HNO in Münster-Greven mit Kinetose, der sogenannten Bewegungskrankheit. Er erläuterte den Zuhörern des DIQ-Symposiums die biologischen Voraussetzungen, etwa den Aufbau und die Funktion des Gleichgewichtsorganes. Die Kinetose hat u.a. Schwindel als Reaktion, ohne dass dieser ausreichend abgedämpft wird. Etwa bis 10 % der Menschen sind sehr anfällig, ebenso sind vergleichbar viele unempfindlich. Mit zunehmendem Alter nimmt die Kinetose ab, so Professor Dr. Schmäl. Zur Kinetose gehören unter anderem auch die See- und Reisekrankheit. Den Zusammenhang von Kinetose und autonomem Fahren und die daraus erwachsende Problematik sieht Prof. Dr. Schmäl in verschiedenen Situationen. So lenkt der Fahrer nicht das Fahrzeug, sondern beschäftigt sich anderweitig, etwa mit einem Tablet PC. Die Bewegung des Fahrzeuges und damit auch die Eigenbewegung wird optisch nicht registriert – eine schwierige Situation. Prof. Dr. Schmäl spricht auch von einem Sinneskonflikt zwischen visueller und vestibulärer (Bestimmung der Gravitation und der Beschleunigung) Information. Lösungsansätze für das Vermeiden einer Kinetose beim autonomen Fahren sieht Prof. Dr. Schmäl ebenfalls. Die Fahrzeugbewegung muss dem Passagier visuell vermittelt werden. Er empfiehlt die Übertragung der Fahrzeugbewegung über einen Monitor zum Passagier. Ergänzungen dazu kamen von Dipl. Ing. Dominique Bohrmann, Institut für Fahrzeugtechnik, Hochschule Trier. Er stellte Lösungen vor, die in den Fahrzeugen zur Verminderung der Übelkeit, hervorgerufen durch die gleichgewichtsstörenden Bewegungsabläufe, eine positive Wirkung auf die Insassen ausüben. Dazu zählen unter anderem die Sitzposition, Schwingungen des Fahrwerks eliminieren, Neigetechnik im Schienenverkehr, Displays und Innenraumbeleuchtung, Belüftung und Klimatisierung. Vom Institut für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen University kam Dipl.-Ing. Philipp Themann zum DIQ-Symposium nach Wuppertal. Er zeigte in seinem Vortrag den Weg von den Fahrassistenzsystemen zum automatisierten Fahren auf. Die Motivation und Zielsetzung hin zum automatisierten Fahren seien klar, so Themann. Man wolle Fahrspaß bei minimalem Verbrauch, mehr Sicherheit mit weniger Masse und Fahrspaß trotz Intervention von Fahrsicherheit. Am Ende stehe die Vision eines von Emissionen und Unfällen freien Fahrerlebnisses. In seinem Überblick zur Entwicklung der Fahrerassistenz verwies Dipl.-Ing. Philipp Themann darauf, dass Sensortechnologien die Automatisierung ermöglichen. Detailliert zeigte er die verschiedenen Aufgaben und Funktionen der Assistenzsysteme und deren Zusammenwirken auf. Er erläuterte dabei auch die verschiedenen Automatisierungsgrade von Stufe 0 (nur Fahrer) über Stufe 1 (assistiert), Stufe 2 (teilautomatisiert), Stufe 3 (hochautomatisiert), Stufe 4 (vollautomatisiert) bis zur Stufe 5 (fahrerlos). Die Absicherung des automatisierten Fahrens muss laut Philip Themann auf gesetzlicher, juristischer, ergonomischer, psychologischer und technischer Ebene erfolgen. Das Ziel muss die Normung und Standardisierung sein. Wie die Psyche des Menschen mit der Automatisierung des Autofahrens umgeht und welche Dinge aus diesen Erkenntnissen heraus berücksichtigt werden müssen – dazu sprach auf dem DIQ-Symposium Diplom-Psychologe Tobias Ruttke von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Er arbeitet dort am Lehrstuhl für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie. Mit einem provokanten Satz des legendären Rennfahrers Juan Manuel Fangio stieg Tobias Ruttke in das Thema ein: „Eines der besten Mittel gegen das Altwerden ist das Dösen am Steuer eines fahrenden Autos.“ Der Psychologe weist darauf hin, dass Verkehr komplex und dynamisch und mehr als das Fahren von Fahrzeugen ist – und natürlich ist Verkehr auch Verhalten. Vergessen werden darf auf keinen Fall die Emotion, die direkt das Fahren beeinflusst. Über die Darstellung menschlichen Fehlverhaltens im Straßenverkehr kommt Tobias Ruttke unter anderem zu dem Fazit, dass menschliches Verhalten mit Fehlern durchsetzt ist und Fehler und Fehlhandlungen ein menschliches Funktions- und Lernprinzip auch im Fahrzeug sind. In seinem Fazit warnt der Psychologe vor einer technikorientierten Zerhackung der Gesamtaufgabe bei der Automatisierung des Fahrens. Nach seiner Meinung muss eine Kontrollierbarkeit der automatisierten Systeme durch den Menschen immer gewährleistet sein. Nicht Kompetenzersetzung, sondern Kompetenzerhöhung und Kompetenzentwicklung des menschlichen Fahrers durch Systemeinsatz sind laut Tobias Ruttke gefragt. Für ihn gehören menschliches Denken, Fühlen und Handeln und Fehlhandeln ebenso ins System Verkehr wie die Technik und die Organisation. Am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg beschäftigt sich Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf mit juristischen Fragen, welche die technische Entwicklung im Bereich der Robotik mit sich bringt. Der Rechtswissenschaftler erwähnte in seinem Vortrag auf dem DIQ-Symposium, dass das autonome Fahren von großer sozialer Bedeutung sei und es viele gesetzliche Probleme gebe. Er verwies auf die Tatsache, dass Verfassungen nicht den Handel mit neuen technologischen Entwicklungen regele. Es gelte die Freiheit der Forschung. Die Autos werden zunehmend vernetzt, ein Datendownload im fahrenden Auto sei inzwischen Standard. Prof. Dr. Dr. Hilgendorf stellte auch die Frage nach der Haftung bei Unfällen im autonomen Fahrbetrieb. Haftet etwa der Programmierer oder der Autohändler? So gelte etwa bei der europäischen E-Commerce-Richtlinie die Haftung des Händlers. In seinem Fazit zeigt Prof. Dr. Dr. Hilgendorf auf, dass viele rechtliche Bereiche betroffen sind, etwa das Straßenverkehrsrecht, die zivilrechtliche Haftung, die strafrechtliche Haftung, die Halterhaftung und der Datenschutz. Einige der Probleme können durch Interpretation gelöst werden, andere erfordern neue Gesetze. „Die rechtlichen Probleme des autonomen Fahrens sind alle lösbar,“ so das Fazit von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf auf dem DIQ-Symposium.
„Ob wir vollautonome Fahrzeuge, die keinerlei Fahrer benötigen, unter unseren aktuellen Verkehrsbedingungen einsetzen können, bleibt vorerst noch überaus fraglich.“ So fasst der Leiter des Symposiums, Prof. Dr.-Ing. Peter König, die interessanten Beiträge der Expertenrunde zusammen und weist darauf hin, dass wir den Menschen mit seiner Intuition und seiner raschen Anpassungsfähigkeit an neue, kritische Situationen heute noch nicht durch Software ersetzen können. Dennoch waren sich alle Experten einig, dass wir schon von den automatisierten Systemen als Vorstufe zum autonomen Fahren deutlich profitieren werden. Diese bedeuten für den Menschen eine wachsende Entlastung bei der Fahrzeugführung und stellen durch die signifikante Verbesserung des Verkehrsflusses, der Energieeffizienz und der Verkehrssicherheit wichtige Schlüsseltechnologien für die Mobilität der Zukunft dar.
„Wie uns im Symposium deutlich vor Augen geführt wurde, reicht die in der Öffentlichkeit häufig sehr technikorientierte Betrachtungsweise der Problematik des autonomen oder automatisierten Fahrens nicht aus. Nur ein umfassenderer, interdisziplinärer Ansatz unter stärkerer Einbeziehung des Faktors Mensch, etwa in den Bereichen Empfinden, Verhalten oder gesellschaftlicher Bedeutung, kann zum Ziel führen“, so Thomas Koch, der Geschäftsführer des DIQ, in seiner Bilanz. Thomas Koch lud alle Anwesenden zum 5. DIQ-Symposium am 25. September 2015 nach München ein.
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